Schwabenbilder gibt es unbestritten - aber gibt es den Schwaben? Diese Frage und viele andere, über die man schon immer Bescheid wissen wollte, stellt (und beantwortet zum Teil) eine Ausstellung des Ludwig-Uhland-Institutes im Haspelturm des Schlosses Hohentübingen (zu sehen vom 18. April bis 1. Juni): Sind die Schwaben alle geizig, werden sie rabiat, wenn der Nachbar die Kehrwoche schlampig erledigt, kaufen sie nur bei Breuninger Bleyhle-Anzüge, fügen sie an jedes Substantiv die nervensägende Diminutiv-Endung "le", die das Böse in der Welt miniaturisiert und homöopathisch dosiert; schaben die Schwaben die Spätzle von Hand oder ertüfteln sie wenigstens - wie Manfred Bulling, der ehemalige Stuttgarter Regierungspräsident - eine Spätzlespresse, die das schwäbische Nationalgericht so vollkommen unregelmä▀ig entstehen lä▀t, da▀ jedes einzelne Spätzle wie echt aussieht und schmeckt?
Wie echt ist ein wichtiges Stichwort für die Ausstellung, die im Rahmen des Projektstudiums entstand, und an der 16 Studierende der Empirischen Kulturwissenschaft drei Semester gearbeitet haben. Surrogate gehören zum schwäbischen Repertoire: Ersatzkaffee aus Zichorien, Uhrwerke, ja sogar Fahrräder aus Holz, Schuhe aus LKW-Reifen, Schneckenfallen aus Joghurtbechern - das Arsenal der Verwandlungstricks, die in der regional unbegrenzten Welt der Armut erfunden und tradiert werden, lie▀e sich fortsetzen. Wie echt sind aber auch die schwäbischen Trachten, die schon im 19. Jahrhundert den Malern zuliebe immer malerischer - das Wort verrät den Zusammenhang - gestaltet wurden und die neuerdings von Trachtenvereinen nach historischen Quellen ausgeheckt und von der Tübinger Uniformfabrik Negele getreu den Vorgaben gefertigt werden.
Am Anfang der Arbeit wurde empirisches Material in vielen Interviews gesammelt. Die Interview-Gruppe war zunächst verwundert, wie wenig konturiert das Schwabenbild au▀erhalb Schwabens, beispielsweise in Hamburg, erscheint. Es zeigte sich: au▀er in Baden werden die Schwaben noch nicht einmal geha▀t. Der alte Schwabe ist ein Auslaufmodell, das sich zumindest mit Teilzeitbeschäftigung begnügt. Er hat noch einen jüngeren und erfolgreicheren Bruder dazu gewonnen, der sein Schwabentum in Medien und im Show-Geschäft verwertet. Er spielt im Kriminalroman den Komissar Bienzle, im Frühstücksradio ätzt er schlaftrunkene Zuhörer mit der Schwaben-Saga, er gibt Konzerte mit dem Markenzeichen Schwabenrock...
Er ist wieder - oder immer noch? - wie echt, er trägt seine Echtheit auf die Bühne oder ins Museum. Unter der Hand hat sich neben diesen Teilzeit- und Präsentations-Schwaben ein neuer Schwabe entwickelt. Der neue Schwabe stammt nicht notwendig aus Bietigheim-Bissingen, er kommt ebenso oft aus Izmir oder Pakistan, er spricht oft nicht schwäbisch, trotzdem gewährt ihm die Region mehr als die auf Monopolisierung der Zugehörigkeit bedachte Nation: Heimat und Identität, aber in radikal neuen Formen, medial vermittelt, als Projektionsangebot.
Wir fragen, welche Heimat braucht der Mensch, und bekommen zur Antwort, da▀ der Regionalismus kein blo▀es museales Projekt oder ausschlie▀liche performance einfordert und gestattet, sondern auch eine neue Kulturbürgerschaft formuliert und formiert, die allerdings in Crankos Choreographie, in Cem Özdemirs politischen Ideen oder in Elbers Toren mehr Zugehörigkeit stiftet als im Gaisburger Marsch. Der neue Schwabe ist unter Umständen so chaotisch wie Professor Rössler, so geschickt und cleverle wie Gönnenwein oder der Musical-Unternehmer Deyhle, so musisch wie Rilling, so volkstümlich wie Fischer und seine Chöre, so tüftlerisch wie der andere Fischer und seine Dübel, so ganz und gar widersprüchlich, da▀ dringend ein Ordnungskonzept herhalten mu▀, dem wir die Aufgabe eines Stereotyps zuweisen und das wir in Ermangelung einer besseren Bezeichnung ``Schwäbisch'' nennen wollen.
Für die Projektgruppe Utz Jeggle und Andreas Vogt
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